15.04.2022

Projektreise Bolivien

Auf Ihrer Projektreise (16.3.-2.4.2022) besucht Marlene Weiß zahlreiche Partnerorganisationen.

Innsbruck, 9. März 2022: Los geht’s auf meine erste Projektreise! Mit dabei ist viel Vorfreude – endlich die Menschen und Projekte kennen lernen, mit denen ich seit gut 1,5 Jahren nur auf dem Bildschirm in Berührung gekommen bin. Vormittags ist es trotz schneeweißer Nordkette warm genug, dass wir nochmal in Daunenjacke auf der Dachterrasse in der Sonne Frühstücken.

Ausbildung und Gesundheit verbessern die Lebensqualität

24 Stunden später packe ich die Daunenjacke weit weg. Ich bin im bolivianischen Tiefland in der aufgeräumten 2-Millionenmetropole Santa Cruz de la Sierra angekommen. Es ist schwül-warm, flach, und grün soweit das Auge reicht. Hier und in verschiedenen Orten der Region sind die Tertiarschwestern des Hl. Franziskus aktiv, ein jahrzehntelanger Projektpartner von BSIN. Sie übernehmen verschiedene soziale und pastorale Aufgaben und widmen ihnen ihr Leben: Sie leiten umsichtig Schulen und Weiterbildungsinstitute, haben Krankenhäuser und Gesundheitsstationen aufgebaut und betreuen Einzelschicksale in seelischer und – wo möglich – finanzieller Hinsicht. Mit dabei haben sie stets einen Grund, die Menschen zum Lachen zu bringen und ihnen Zuversicht zu geben. Ihr Einsatz und ihr Durchhaltevermögen beeindrucken mich sehr.
Szenenwechsel. Cochabamba liegt auf über 2500 Metern in einem Hochtal und ist umgeben von grünen, über 5000m hohen Bergen. Hier ist mit drei Projektpartnern eine der geographischen Schwerpunktregionen von BSIN in Bolivien.

Einsatz für Frauen mit Gewalterfahrungen und Gewaltprävention

Zwei der Partnerorganisationen, das CAM-Team und Yachay Chhalaku, haben sich speziell dem Kampf gegen das Übermaß an häuslicher Gewalt in Bolivien verschrieben. Ich besuche das Frauenhaus-Projekt CAM, das wir gemeinsam mit dem Entwicklungshilfeclub und dem Land Tirol unterstützen. Besonders nah gehen mir die persönlichen Geschichten, die mir die Frauen im Frauenschutzzentrum erzählen, ebenso ihre unendliche Dankbarkeit dafür, ein sicheres Dach über dem Kopf zu haben.

Die Frauen, die Gewalterfahrungen erlebt und dank des Projekts eine eigene, gewaltfreie Existenz aufgebaut haben, lerne ich als unglaublich starke und ermächtigte Power-Frauen kennen. Sie wurden von Opfern häuslicher Gewalt zu Protagonistinnen und Aktivistinnen, die als „Promotoras“ Betroffenen weiterhelfen und in Schulen und ländlichen Gebieten wertvolle Präventionsarbeit leisten.

Die NGO Yachay Chhalakku widmet sich neben dem Promotoras-Programm der nachhaltigen, wirtschaftlichen Entwicklung der Region. Unternehmerische Initiativen, z.B. aus dem Tourismusbereich und Zusammenschlüsse von Kleinbäuer*innen werden durch Workshops und Vernetzungsarbeit unterstützt. Auf einem kleinen, extra organisierten Markt kann ich mich durch die leckeren Produkte probieren: Das Angebot reicht von Pfirsichjoghurt und Erdbeeren in rauen Mengen über Brot und traditionelles Gebäck bis hin zu Käse und Blumenschmuck.

Menschen in Bolivien helfen
Gibt es Hunger in Bolivien in Lateinamerika?

„Bildung ist die Chance für die Zukunft der Kinder“

Ein ganz neuer Projektpartner ist die junge Stiftung Kawsay Muju, die Kindern, Jugendlichen und Studierenden aus prekären Verhältnissen durch die Verbesserung ihrer Bildungschancen eine selbstbestimmte, gute Zukunft ermöglichen möchte. In Villa Flores, einem Viertel im ärmeren, trockenen Süden Cochabambas und direkt neben der städtischen Mülldeponie erhalten Kinder an vier Nachmittagen die Woche schulische Unterstützung und vielfältige Betreuungsangebote wie Garteln, Basteln und Musizieren. Sie kommen sehr gerne ins Zentrum. Don Juan, der Vorsteher des Viertels, äußert sich besorgt über die gesundheitlichen Auswirkungen des Lebens in nächster Nähe zur Mülldeponie. Bildung sieht er als DIE Chance für die Kinder, dem Armutskreislauf in dieser Gegend zu entkommen.

Am nächsten Tag treffe ich auf einige Studierende des Stipendienprogramms. Besonders schätzen sie die persönlichen Weiterbildungsangebote, die sie ihm Rahmen des Programms erhalten. Ein Studierender, der vor zwei Jahren seine Mutter verloren hat und nun ohne jegliche familiäre Unterstützung dasteht, ist besonders froh um die Gemeinschaft der Stipendiat*innen. Gemeinsam helfen sie in Villa Flores aus. Sie sehen sich selbst in den Kindern wieder. Die Bildungsmöglichkeiten, die ihnen abgingen, wollen nun sie den Kindern geben.

Nachhaltige Anbaumethoden und Wassermanagement

Von Cochabamba geht es weiter nach La Paz auf 3700m mit einer beeindruckenden Topografie. Mit den Partnerorganisationen CIPCA und Prodiasur besuche ich vor allem ländliche Gebiete im Altiplano. Die Gegend ist wunderschön – weit, grün, mit Lama-Herden, bunten Quinoafeldern und den weißen Gipfeln von Fünf- und Sechstausendern am Horizont. Aktuell sei es relativ grün, so unsere Projektpartner, da die Regenzeit gerade erst vorbei ist. Für meine Augen sieht es trotzdem eher trocken aus. Das ist auch eines der größten Probleme für die Kleinbäuer*innen der Region: Immer wieder erzählen sie vom ausbleibenden Niederschlag und Wassermangel. Beide Partnerorganisationen unterstützen den Bau von Regenrückhaltebecken sowie Gewächshäusern und vermitteln nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken. Sie schaffen damit Perspektiven für die Menschen und für ein gutes Leben auf dem Land.

Viel zu bald trete ich schon die Rückreise an. Bolivien hat mich begeistert – neben der landschaftlichen, kulinarischen, kulturellen und biologischen Vielfalt ist vor allem die Lebensfreude und Lebendigkeit Menschen sehr bereichernd. Zurück geht es mit vielen schönen Eindrücken und Erinnerungen – und einer extra Portion Motivation für die Arbeit und vielen neuen Ideen, die gemeinsam mit den Projektpartner*innen entstanden sind.

Text: Marlene Weiß, Projektreferentin für Bolivien