14.04.2023

„Ich bete, dass der Frieden in das Land der Karamajong zurückkehrt“

Der frühere Viehdieb Lomulen Marko wurde im Projekt mit den Mill Hill Missionaries zum Frieden „bekehrt“.

„Als ich bei einem anderen Raider sah, wie er Vieh heimbrachte, wusste ich, dass ich das auch machen will!“, erzählt Lomulen Marko aus Lobongia, einem Dorf im Bezirk Kaabong im Nordosten Ugandas. Der Besitz von Rindern ist bei den viehhaltenden Karamajong mit gesellschaftlichem Prestige verbunden. Je höher die Anzahl der Tiere, desto wichtiger ist eine Person im Sozialverband. Der Raub von Tieren oder Herden unter rivalisierenden Gruppen der Karamajong hat jahrzehntelange „Tradition“. Eine „Tradition“, die seit ebenso vielen Jahren mit Überfällen, Morden, Entführungen und Vergewaltigungen einhergeht.

Diese bewaffneten Konflikte begründen sich u.a. in den klimatischen Bedingungen dieser steppenartigen Region, in der das Überleben mit der zunehmenden Häufigkeit von Dürreperioden durch den Klimawandel massiv erschwert wird. Kämpfe um Wasserstellen verschärfen den Konflikt zusätzlich und machen die Bezirke Kotido und Kaabong zu den Gebieten mit den schwierigsten Lebensbedingungen in Uganda.

„Ich wollte auch Kühe besitzen“

Mit 18 Jahren nimmt Lomulen Marko erstmals an einem Raubzug teil. „Ich nahm das Gewehr meines Vaters!“, so der heute 35-jährige. „Wir waren nicht immer erfolgreich. Aber wenn wir Vieh mitbrachten, teilten wir es untereinander auf.“

Seit 2019 gewinnen die bewaffneten Konflikte in der Region wieder an Intensität. Die Regierung leitet eine Entwaffnungsphase ein, in deren Verlauf es zu Razzien und Gegenrazzien kommt. Es ist nicht das erste Mal. Bereits zwischen 2000 und 2010 hatte die Regierung versucht, durch das Absammeln der Waffen Frieden in die Region zu bringen.

„Die schlimmste Erfahrung war der Tod von Gefährten“

Bei einigen seiner Raubzüge muss Lomulen Marko den Tod von unbewaffneten Begleitern mitansehen. Diese Erfahrung lässt ihn nicht mehr los. „Das schmerzte mich so sehr, dass ich, als die Entwaffnung erneut begann, beschloss, mein Gewehr abzugeben.“

Sich an einen neuen Lebensstil zu gewöhnen, fällt ihm nicht leicht. Mehrmals ist er versucht, sich den Raubzügen wieder anzuschließen. Eine Wende tritt mit einer neuen Perspektive ein: In Lokanayona sieht er eine Aufführung der Theatergruppe „Drama and Song“, in dem es um die Vorteile des Friedens vor der Gewalt geht. Das Stück wirkt so stark auf ihn, dass er sich der Gruppe anschließt.

Theater, das den Frieden fördert

„Drama and Song“ ist Teil des Women and Youth Empowerment-Projekts der Mill Hill Missionaries, das Bruder und Schwester in Not – Diözese Innsbruck in Kooperation mit Caritas Kärnten und Missio unterstützt. In selbst entwickelten Theaterstücken thematisieren die Gruppen Frauenrechte, Alkohol, HIV/ Aids, häusliche Gewalt und vieles mehr. Die Stücke werden auf Märkten und öffentlichen Plätzen gezeigt – dort, wo sichergestellt ist, dass viele Menschen sie sehen.

Weitere Pfeiler des Projekts sind Schulungen zu Sparvereinen, einkommensschaffenden Maßnahmen und vielem mehr, das einen legalen und gewaltfreien Broterwerb ermöglicht. Vor allem aber schaffen die Gruppen einen sicheren Raum für Bewusstseinsbildung und Sensibilisierung.

Zurück in den Alltag ohne Raubzüge

Lomulen Marko erzählt: „Ich schloss mich der Gruppe an und genoss Gruppenaktivitäten wie Austauschbesuche, Dialoge in der Gemeinde und die Theaterstücke. Ich erlernte Fertigkeiten wie das Anlegen von Gemüsegärten, Sparen, die Herstellung von Papierperlen und Hockern. Diese Aktivitäten beschäftigten uns und halfen uns, die Raubzüge zu vergessen.“ Durch den Verkauf der Werkstücke kann Lomulen Marko seine Grundbedürfnisse decken und seinen Kindern einen Schulbesuch ermöglichen.

Die Karamajong als Vorbild

Die Zusammenarbeit in diesem Projekt wird heute oft als Beispiel für eine funktionierende Praxis der Konflikttransformation und Friedensbildung herangezogen. Friedensfördernde Organisationen nutzen die Gruppen als Ausgangspunkt. Der Weg ist jedoch noch lange nicht zu Ende, wie die zuletzt wieder prekärer gewordene Sicherheitslage zeigt. Gleichwohl wirkt das Projekt durch die Zusammenarbeit der rivalisierenden Ethnien Jie und Dodoth. Gemeinsame Projektaktivitäten ermöglichen den beiden Gruppen, sich in einem neuen Kontext kennenzulernen, sich auszutauschen und das Gute ineinander zu sehen. „Ich setze mich für mehr Friedensstifter in unserer Gemeinschaft ein!“, sagt Lomulen Marko. Sinnbildlich sichtbar wird der Erfolg der Bemühungen, wenn Mitglieder der einen ethnischen Gruppe die andere bei Trauerfällen besuchen, um ihre Anteilnahme auszudrücken.

Dieser Bericht erschien erstmals im KOO-Jahresbericht 2022.