"Die Stimme vieler wird gehört"
Interview: Wie wird in Uganda Dialog mit politischen Vertreter:innen geführt?
Proscovia Nanfuka ist Programmanagerin bei der Caritas Kiyinda-Mityana, einem langjährigen Projektpartner von Bruder und Schwester in Not in Südwest-Uganda. Gemeinsam arbeiten die beiden Organisationen daran, die Möglichkeiten und Beteiligung von Frauen, Menschen mit Behinderung und anderen benachteiligten Gruppen zu verbessern. 2023 wurde im Distrikt Kassanda unter der Führung der Caritas Kiyinda-Mityana ein Forum verschiedener NGOs gegründet, das die Zusammenarbeit mit politischen und Regierungsvertreter:innen verbessern soll. Wir haben Proscovia Nanfuka gebeten, uns mehr über dieses Forum und seine Aufgaben zu erzählen.
Frau Nanfuka, was genau ist „Politikdialog“?
Politikdialog steht für Absprache und Vernetzung mit Vertreter:innen der Politik und offiziellen Stellen. Es gibt politische Programme zu Bereichen, die auch unsere Arbeit betreffen, wie zum Beispiel Soziale Sicherheit, Gesundheit, Arbeit, Ausbildung, Armutsbekämpfung. Es ist wichtig, dass wir in diesen Bereichen mit den offiziellen Stellen ins Gespräch kommen, Probleme benennen können und die Programme tatsächlich auch den richtigen Gruppen zugute kommen.
Wie ist es zur Gründung des Netzwerkforums von NGOs auf Bezirksebene gekommen?
Die Caritas Kiyinda-Mityana und Bruder und Schwester in Not arbeiten seit vielen Jahren zusammen. Im Jahr 2019 begannen wir mit der Umsetzung eines Projekts, das erstmals auch die Vernetzung mit lokalen politischen Institutionen beinhaltete und dazu Kapazitäten aufbauen wollte. Wir hatten, wenn überhaupt, nur wenig Wissen darüber, wie Aktivitäten zu diesem sogenannten „Politikdialog“ umgesetzt werden sollten. Bald war aber klar, dass eine Organisation das nicht alleine machen kann. Eine einzelne Organisation ist im Falle eines relevanten Problems mit der Regierung einem hohen Risiko ausgesetzt. Darüber hinaus wird die Stimme vieler eher gehört als die einer einzigen Organisation. Hier entstand die Idee, sich zusammenzutun.
Was macht das Forum konkret?
Die wichtigsten Dinge, für die dieses CSO-Forum steht, sind meiner Meinung nach einerseits Transparenz und Rechenschaftspflicht: Das Forum beobachtet und kontrolliert die Regierungsprogramme und Versprechen, die die Regierung der Bevölkerung gegeben hat, um sicherzustellen, dass sie vor Ort auf angemessene Weise umgesetzt werden. Und andererseits fungiert es als Sprachrohr der betroffenen Menschen und vertritt sie bei verschiedenen Treffen.
Das Forum trifft sich vierteljährlich. Wir berichten einander über unsere Arbeit, besprechen Herausforderungen und entwickeln Vorgehensweisen bzw. Lösungen. Natürlich ist auch Vernetzung ein wichtiger Teil des Forums. Organisiert werden die Treffen in der Regel von einem Distrikt Community Development Officer. (Anmerkung: Der Community Development Officer, kurz CDO ist ein Beauftragter des Ministeriums, der vor Ort für Gemeindeentwicklung, Produktionssteigerung, Alphabetisierung und ähnliche Themen zuständig ist.)
Was sind Ihrer Erfahrung nach die wichtigsten Themen im Kassanda-Distrikt?
Laut einer Untersuchung im gesamten Distrikt belegte Kalwana im Jahr 2021 den ersten "Platz" mit Fällen von Kinderehen und Teenagerschwangerschaften. Dieser traurige Rekord hat mehrere Gründe, die alle zusammenhängen: Viele Kinder brechen in jungen Jahren die Schule ab. Oft liegt es an der Unwissenheit der Erziehungspersonen, die selbst nie zur Schule gegangen sind oder an der Armut, weil trotz der kostenfreien öffentlichen Schulen immer noch unterschiedliche Gebühren anfallen, die die Familien nicht aufbringen können. Daher gründen viele Jugendliche, sowohl Burschen als auch Mädchen, schon in jungen Jahren Familien und haben wiederum viele kleine Kinder. All dies bringt Überforderung, geschlechtsspezifische Gewalt und alle Nachteile für junge Eltern mit sich wie Herausforderungen in der Erziehung und Ernährung. Ein weiterer Aspekt ist, dass in der Vergangenheit großer Wert darauf gelegt wurde, Frauen und Mädchen zu stärken. Das ist gut, ergänzend braucht es jedoch auch eigene Programme für Männer und Buben, damit die Bewusstseinsbildung dazu auch greifen kann.
Außerdem ist eine Begleiterscheinung mangelnder Bildung, dass vielen Menschen aus bildungsfernen Schichten das Selbstbewusstsein fehlt, um mitzureden oder mitzubestimmen, weil sie denken, dass das nur etwas für gebildete Leute wäre.
Und natürlich gibt es nach wie vor das Thema der mangelnden Hygiene und damit einhergehenden Gesundheitsthemen: Unserer Erfahrung nach verfügt der Großteil der Haushalte über keine Latrinen, sondern nur über Gruben mit einem Sichtschutz rundherum.
Welche Elemente des Forums schätzen Sie am meisten?
Zum einen die Zusammenarbeit bei der Bearbeitung der genannten Probleme. Das CSO-Forum ist durch die CDOs im Distriktforum vertreten, sodass relevante Themen, die im Forum diskutiert werden, auch dort zur Prüfung vorgelegt werden. Und zum anderen sprechen verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen nun mit einer Stimme. Da Budgetierung und Planung Teil der Forenarbeit sind, können wir so gemeinsam dazu beitragen, die dringendsten Bedürfnisse der Gemeinschaft zu erfüllen.
Was ist Ihre Vision für die Zukunft?
Ziel ist es, ein starkes Netzwerk zu schaffen, das durch eine große Anzahl gleichberechtigter Partner eine starke Vertretung aller Interessensgruppen mit einer starken Verhandlungsposition im Politikdialog ist, um Lücken der Politik in unserer Region für marginalisierte Bevölkerungsgruppen zu schließen.
Wir wollen eine Plattform schaffen, über die die dringendsten Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung repräsentiert, präsentiert und gehört werden.